Der Mond,
das Sprungbrett zum Mars

Damit Menschen auf dem Roten Planeten landen können, müssen wir zuerst den Mond besiedeln. Wir zeigen Schritt für Schritt den Weg dahin auf.

Joachim Laukenmann (Text) und Micha Treuthardt (Grafik)

Bevorzugt dienten Garagen als Geburtsstätten grosser Ideen: Bill Gates, Steve Jobs, Jeff Bezos und andere legten dort den Grundstein für ihre Innovationen.

Was hat das mit dem Mond zu tun? «Ich vergleiche den Mond gerne mit der Garage im Haus», sagt Willy Benz vom Institut für Weltraumforschung und Planetologie der Universität Bern und Präsident des Rats der Europäischen Südsternwarte ESO. «In einer Garage kann man Sachen machen, die man im Haus zunächst besser bleiben lässt. Ebenso kann man auf oder beim Mond einiges ausprobieren, bevor man sich weiter hinaus ins Weltall wagt.» Sprich: Der Mond ist das ideale Testgelände für alles Weitere. Er dient als Sprungbrett zum Mars und zur Eroberung des Sonnensystems.

Sollte bei Aktivitäten rund um den Mond etwas schiefgehen, wären die Astronauten in rund drei Tagen zurück auf der Erde. Die Reise zum Mars bräuchte Monate, eine ganze Mission wohl mehr als zwei Jahre. Eine schnelle Rettung wäre ausgeschlossen. «Daher muss man die nötige Technologie, etwa die Systeme zur Lebenserhaltung der Astronauten, erst zu einer gewissen Reife bringen, bevor sich die Menschheit weiter hinaus ins Weltall wagen kann», sagt Thomas Reiter, ehemaliger ESA-Astronaut und Berater des Generaldirektors der ESA. «Aber es ist das ultimative Ziel der grossen Raumfahrtagenturen, dass vielleicht schon in zwei Jahrzehnten Menschen auf dem Mars landen.»

Ende März kündigte US-Vizepräsident Mike Pence an, dass spätestens 2024 wieder Amerikaner über den Mond spazieren sollen. Mittlerweile wurde das Programm nach der griechischen Mondgöttin Artemis getauft, der Zwillingsschwester von Apollon. Laut Nasa-Administrator Jim Bridenstine bräuchte die Weltraumbehörde zusätzlich zu ihrem 2019-Budget von rund 21,5 Milliarden US-Dollar weitere 1,6 Milliarden, um den ehrgeizigen Zeitplan einhalten zu können. Das sei aber nur «eine Anzahlung». Wie viel «Artemis» insgesamt koste, könne er nicht sagen.

Um «Artemis» den Weg zu ebnen, hat die Nasa kürzlich drei private Raumfahrtunternehmen beauftragt, unbemannte Lander zu bauen. Diese könnten bereits ab dem kommenden Jahr Experimente und Technik zum Mond bringen.

Weder Russland noch China noch Japan scheinen sich bislang bei dem von den USA ausgerufenen Wettlauf zu beteiligen. Diese Länder wollen erst in den 2030er-Jahren bemannt auf den Mond. Eher könnte es ein Rennen zwischen der Nasa und privaten Firmen wie SpaceX von Tesla-Gründer Elon Musk oder Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos geben. Oder die private Raumfahrt zieht mit der Nasa an einem Strang, damit der straffe Zeitplan realistisch wird.

Um «Artemis» zu realisieren, braucht es eine Rakete, die Lasten von circa 50 Tonnen oder mehr in den Erdorbit hieven kann. Seit 2011 entwickelt die Nasa das Space Launch System (SLS). Nach vielen Verzögerungen könnte die SLS-Rakete nächstes Jahr ihren Jungfernflug absolvieren.

Die geschätzten Kosten für einen Start der SLS liegen bei 500 Millionen bis zu einer Milliarde US-Dollar. Günstiger wären die privaten Anbieter. Gemäss SpaceX kann deren Falcon Heavy rund 64 Tonnen für circa 90 Millionen Dollar in den Erdorbit befördern. Auch Jeff Bezos plant den Bau einer grossen Rakete: New Glenn soll 45 Tonnen fassen.

In Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumagentur ESA entwickelt die Nasa zudem das Crew Vehicle Orion. Dessen erster unbemannter Testflug auf einer SLS-Rakete wird 2020 oder 2021 erwartet. Astronauten sollen erstmals 2023 mit dabei sein. Die ESA steuert insbesondere das European Service Module bei. Es liefert den Antrieb für Orion und kann eine vierköpfige Crew bis zu 21 Tage mit Wasser, Sauerstoff und elektrischem Strom versorgen.

Raumstation über dem Mond ab 2022

Parallel zu den Raketen und dem Crew Vehicle Orion bauen die USA gemeinsam mit Europa, Japan, Russland und Kanada eine Raumstation für den Mond, die Lunar Orbital Platform-Gateway (LOP-G). Die LOP-G ist vergleichbar mit der Internationalen Raumstation ISS, nur kleiner. Sie dient als Zwischenstation für die bemannte und unbemannte Landung auf dem Mond. Der Aufbau der LOP-G könnte bereits 2022 beginnen. Beteiligt ist auch Ruag Space – und zwar bei der Entwicklung des europäischen Moduls Esprit (European System Providing Refuelling, Infrastructure and Telecommunications). Die Einführung des Esprit-Moduls in die Raumstation ist derzeit für Ende 2023 geplant.

Kürzlich hat die Nasa elf Firmen ausgewählt, die sich um die Entwicklung einer Mondlandefähre kümmern sollen. Zu den Firmen gehört unter anderem Blue Origin. Im Mai hat die Firma das Modell des vollautomatischen Mond­landemoduls «Blue Moon» vorgestellt. Bereits im April hatte auch der US-Rüstungs- und Raumfahrtkonzern Lockheed Martin ein neues Lande-Vehikel präsentiert. Auch Boeing und SpaceX gehören zu den elf Firmen.

ESA-Direktor Jan Wörner hat den Begriff Mond-Dorf ins Gespräch gebracht. Dahinter verbirgt sich eine Strategie: So wie ein Dorf nicht nach einem Masterplan entsteht, sondern in Etappen wächst, würde der exakte Plan für die Besiedlung des Mondes nicht von Beginn an feststehen. «Das Projekt soll sich entwickeln können», sagt Reiter von der ESA. «Wahrscheinlich wird man an einem Ort zusammenkommen, etwa am Südpol des Mondes, weil es dort wohl Wasser gibt, das man für den Betrieb des Mond-Dorfes dringend braucht. Weitere Infrastrukturen werden sich dann entwickeln.»

Wie schützt man Astronauten vor kosmischer Strahlung?

Zu den Herausforderungen für die Besiedlung des Mondes gehört der Schutz vor kosmischer Strahlung. Diese stellt für Astronauten ein grosses gesundheitliches Risiko dar. «Wenn man sich an Bord der ISS aufhält, ist man durch das Erdmagnetfeld immer noch relativ gut vor der Strahlung abgeschirmt», sagt Reiter. «Auf dem Mond ist das nicht mehr der Fall.» Daher wird untersucht, ob man das Mondgestein, den Regolith, in einer Art 3-D-Druck aufschichten und mit einem Bindemittel verfestigen kann. «So könnte man sich gegen Strahlung und gegen Mikrometeoriten schützen.»

Wasser gilt als Öl des Weltraums. Wenn man an den Mondpolen wie vermutet ausreichend Wasser findet, könnte man es über Elektrolyse spalten und Sauerstoff zum Atmen sowie Wasserstoff als Treibstoff produzieren. Die nötige Energie käme vorwiegend aus der Fotovoltaik. Dank Wasserstoff würde der Mond zu einer Art interplanetaren Tankstelle für weiterführende Reisen. Wichtig wird es sein, die Ressourcen, so gut es geht, in einen Kreislauf zu führen. «An Bord der ISS können wir heute über 70 Prozent des Wassers rezyklieren», sagt Reiter. «Das Ziel ist es, auf über 90 Prozent zu kommen.» Entsprechend soll Sauerstoff nicht nur gewonnen, sondern auch rezykliert werden.

Was die Ernährung betrifft, so versucht man auf der ISS zum Beispiel, Nutzpflanzen wie Salat und Tomaten in der Schwerelosigkeit zu züchten. Ähnliche Experimente sollen bald auch im kleinen Satelliten Eu:Cropis stattfinden, in dem durch Rotation die auf dem Mond vorhandene Schwerkraft künstlich erzeugt wird.

Dann gibt es noch einen anderen Aspekt der Exploration: «So, wie wir heute mit der Erde umgehen, werden wir relativ schnell an Grenzen stossen», sagt Benz. «Entweder wir schaffen es, auf diesem Planeten nachhaltig mit den Ressourcen umzugehen. Oder wir müssen losgehen und uns gewisse Ressourcen holen.»

Auf dem Mond finden sich zum Beispiel seltene Erden, die in jedem Mobiltelefon stecken, und Helium-3, das man eventuell für künftige Kernfusionsreaktoren verwenden könnte. «Der Abbau von Rohstoffen auf dem Mond klingt ein bisschen nach Science-Fiction», sagt Benz. «Aber ich denke, früher oder später wird das kommen.»

Machen bemannte Mond-Missionen Sinn?

Ist es aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll, Astronauten auf den Mond zu schicken? «Ja und nein», sagt Benz. «Einerseits werden Roboter immer besser. Andererseits haben Menschen spezielle Fähigkeiten, die Roboter bis heute nicht besitzen. Aber es ist auch viel komplizierter, Menschen auf den Mond oder auf den Mars zu schicken als Roboter.» Eine Sache dürfe man jedoch nicht unterschätzen: «Nichts hat die Öffentlichkeit so sehr begeistert wie die Apollo-Missionen», sagt Benz. «Ohne den Ruhm der Mondlandungen hätte sich die Nasa und damit auch die Weltraumforschung niemals so entwickelt, wie sie sich entwickelt hat. Die bemannte Raumfahrt ist daher auch ein Weg für die Wissenschaft, ihre Ziele zu erreichen.»

Ein künftiges Ziel der Wissenschaft könnte es sein, auf der erdabgewandten Seite des Mondes ein Radioteleskop zu bauen. Dort hätte man einen perfekten Radiohimmel, gänzlich ohne Störstrahlung von der Erde. «Solche Teleskope könnten dazu dienen, potenziell bedrohliche Asteroiden möglichst frühzeitig zu erkennen», sagt Reiter von der ESA.

Für 300 Milliarden Dollar zum Mars

Ein grosses Hindernis für einen Flug zum Mars ist die Erdanziehungskraft. Diese zu überwinden, benötigt viel Treibstoff. «Da auf dem Mond nur ein Sechstel der Schwerkraft der Erde herrscht, könnte man von dort aus wesentlich einfacher in die Tiefen des Weltraums vordringen», sagt Reiter. Langfristig könnte die Raumstation LOP-G daher auch als Zwischenstation für die Reise zum Mars dienen.

Ein noch grösseres Hindernis als die Erdanziehungskraft dürften die immensen Kosten sein. Für eine bemannte Mars-Mission ging die Nasa 2015 von 125 Milliarden US-Dollar aus. Der Nationale Forschungsrat der USA schätzte die Kosten im gleichen Jahr auf 75 bis 300 Milliarden US-Dollar.

Lohnt es sich, Astronauten zunächst in die Garage (auf den Mond) und später auf den Mars zu schicken? Springen genug Innovationen für die Menschen auf der Erde heraus? In welchem Umfang könnte die Wissenschaft von diesen Projekten profitieren? Oder wäre zumindest das staatliche Geld anderweitig besser investiert?

Diese Fragen wird sich die Gesellschaft in den kommenden Jahren stellen müssen.