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Für wen Covid-19 gefährlich ist
Anhand von Daten aus China, Südkorea und neu auch Italien zeigen wir, ab welchem Alter es zunehmend zu Komplikationen kommt.

Marc Brupbacher und Mathias Lutz

Eine Ende Februar im chinesischen Fachblatt Chinese Journal of Epidemiology publizierte Studie analysierte 44’672 bestätigte Covid-19-Fälle in Festlandchina bis zum 11. Februar 2020. Die sehr grosse Anzahl der Fälle machte diese Untersuchung sehr interessant, sie wird bis heute herangezogen, um die Sterblichkeit und Gefährlichkeit von Covid-19 abschätzen zu können. Nun haben wir mit Südkorea und Italien weitere Länder mit vielen Fällen und offiziellen Daten der Gesundheitsbehörden zu Sterblichkeitsraten in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Das Istituto Superiore di Sanità, Italiens oberstes Gesundheitsinstitut, legte am 19. März eine Studie vor, in der es alle klinischen Daten der 3047 Toten bis zum 19. März analysierte.

Das grosse Bild bleibt gleich: Covd-19 ist vor allem für älter Personen und solche mit Vorerkrankunge gefährlich. Die einzelnen Sterberaten für die jeweiligen Altersgruppen sind aber in Südkorea deutlich tiefer als in China und Italien.

Kaum Tote bei jungen Personen
Grafik: lm/pvo Quellen: Chines Center for Disease Control and Prevention, Korea Centers for Disease Control and Prevention, Istituto Superiore di Sanità

Insgesamt starben von den bis am 24. März in Südkorea 9037 Erkrankten 120 Personen – das entspricht einer Sterblichkeitsrate von 1.3%. In China waren es von den in der Studie erfassten 44’672 Erkrankten 1023 Personen – also eine Sterblichkeit von 2,3%. In Italien beträgt die Sterblichkeitsrate der bestätigten Fälle sogar 8.5%. Ein möglicher Grund könnte für die hohe Rate sein: Italiens Bevölkerung gehört zu den betagtesten der Welt, das Durchschnittsalter liegt bei 46,3 Jahren. 22 Prozent der Italiener sind über 65 Jahre alt. Zudem: Experten denken, dass es in Italien sehr viel mehr Infizierte gibt, als es offizielle Statistiken ausweisen.

Möglicherweise hänge die geringere Sterberate in Südkorea mit der frühen Erkennung der Erkrankten und somit frühen Behandlung zusammen, sagt Kim Dong-hyun, Präsident der Koreanischen Gesellschaft für Epidemiologie. Auch die Altersstruktur dürfte sicher eine Rolle spielen, da in Südkorea im Vergleich auch zu Italien viele jüngere Menschen infiziert sind.

Sowohl in Italien als auch Südkorea gab es unter den 0- bis 19-Jährigen keine Todesfälle - in China starb in dieser Alterskategorie eine Person. 81% der Covid-19-Toten waren in China über 60 Jahre alt, in Südkorea waren es 91.6%, in Italien 96.1%.

Die chinesische Studie zeigte zudem, dass bei 80,9% der Infizierten die Krankheit einen milden Verlauf nahm. Und selbst bei den schweren Fällen (13,8%) gab es keine Toten.

Die Sterblichkeitsrate in China bei Männern betrug 2,8% und bei Frauen 1,7%. Und Patienten in der Provinz Hubei hatten mit 2,9% eine siebenfach höhere Sterblichkeitsrate im Vergleich zu Patienten in anderen chinesischen Provinzen (0,4%).

In Italien waren neun Verstorbene unter 40 Jahre, alle waren krank, ehe sie sich mit dem Virus infizierten. Über 70 Prozent der Opfer sind Männer. Frauen seien besser darin, Viren zu bekämpfen, vermuten die Ärzte. Auch die Immunantwort nach Impfungen ist im Vergleich zu Männern erhöht. Gleiches gilt für das sogenannte Immungedächtnis, das den Körper nach einer überstandenen Infektion vor einer erneuten Ansteckung schützt. Neben dem Immunsystem könnte aber auch der unterschiedliche Lebensstil eine Rolle im Verlauf der Lungenkrankheit spielen, vermuten Experten.

Nur wenige Personen in Italien starben offenbar ausschliesslich «am» Coronavirus – «ohne Wenn und Aber», wie die Italiener sagen. Alle anderen litten an mindestens einer schweren Vorerkrankung. Die Hälfte hatte drei oder mehr Krankheiten, die häufigsten waren: Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, Herz- und Atembeschwerden.

Italiens Gesundheitsinstitut führt auch auf, mit welchen Leiden die Menschen eingeliefert wurden. 77 Prozent hatten hohes Fieber, 74 Prozent litten an Dyspnoe, also Atemnot, und 42 Prozent klagten vor allem über Husten.

Insgesamt infizierten sich in China auch 1716 Ärzte und Spitalangestellte mit dem Virus. Fünf starben, was einer Todesrate von 0,3% entspricht.

Während Patienten ohne Vorerkrankungen eine Sterblichkeitsrate von 0,9% aufweisen, steigt die Rate bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, chronischen Atemwegserkrankungen, Bluthochdruck und Krebs drastisch an.

Eine andere Studie, die in der medizinischen Fachzeitschrift «The Lancet» erschienen ist, zeigt ebenfalls, dass vor allem ältere Personen ein erhöhtes Sterberisiko haben und Kinder deutlich weniger. Das mittlere Alter der an Covid-19 Verstorbenen wurde dort mit 70 Jahre angegeben.

Manuel Battegay, Chefarzt der Klinik Infektiologie & Spitalhygiene am Universitätsspital Basel, schätzt das Sterberisiko so ein: «Daten zeigen, dass ungefähr die Hälfte der Verstorbenen weitere Erkrankungen wie Diabetes oder einen hohen Blutdruck aufweisen. Aber umgekehrt waren auch 30 Prozent bis 50 Prozent der Verstorbenen gesund. Die obige chinesische Studie zeigt, dass das Sterblichkeitsrisiko ab 65 Jahren stark ansteigt.»

Obwohl es viele milde Verläufe von Covid-19 gibt, bleibt die Gefährlichkeit des Virus dennoch hoch. Denn auch wenn die Sterblichkeit wegen der Anzahl leichter Fälle, die nicht bekannt wurden und als Dunkelziffer gelten, auf 1 Prozent sinken würde, ist diese deutlich höher als bei der Grippe mit 0,02 bis 0,3 Prozent. Influenzafälle gibt es pro Jahr weltweit bis zu 900 Millionen, dabei sterben 200'000 bis 650'000 Personen.

So gefährlich ist das neue Coronavirus im Vergleich
Quelle: WHO, verschiedene Studien, National Health Commission of China

Gemäss aktuellen Daten ist das Coronavirus auch deutlich ansteckender als die Grippe, an der jeweils Millionen erkranken. «Durch die Situation des Kreuzfahrtschiffs Diamond Princess vor Japan, wo sich über 20 Prozent der über 3000 Passagiere angesteckt haben, wissen wir: Bei der Grippe ist es eine Person, die durchschnittlich 1,3 bis 2 weitere Menschen ansteckt, bei diesem neuen Coronavirus sind es über zwei. Wirklich verlässliche Zahlen zur Ansteckungsrate haben wir aber noch nicht», so Battegay.

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